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Der grüne Sonnenkönig.
©KI
Energy by Turner

Sonnenkönig, «naturemade star»-zertifiziert

Es ist erstaunlich, wie ein Land mit so viel politischer Schönheit gleichzeitig derart politisch unbeholfen sein kann. Die Schweiz braucht eine grüne Monarchie – Jetzt!

Die Schweiz, dieses demokratische Rolex-Uhrwerk, tickt zuverlässig – bis es ums Thema Energie geht. Dann verwandelt sich der elegant geschliffene Chronometer schlagartig in eine Kuckucksuhr, aus der es alle drei Minuten herausruft: «Aber nicht bei mir im Quartier!»

Bestes System der Welt, ausser wenn’s ernst wird

Man muss die direkte Demokratie einfach lieben. Keine andere Nation schafft es, für jedes neue Windrädli eine Volksabstimmung zu organisieren, inklusive drei Referenden, acht Vernehmlassungen und einem emotionalen Leserbrief im «Beobachter». Die Schweiz ist das Land, in dem eine Solarfassade mehr demokratische Beachtung erhält als die europäische Energiezukunft.

Natürlich ist das Volk souverän – zumindest so lange, bis es um die eigene Nasenspitze geht. Dann wird das Volk plötzlich zu einem Individuum namens «Hansruedi», der findet, dass Windräder ganz toll sind, aber bitte nur in der Nordsee. Oder zur «Margrit», die erneuerbaren Strom fantastisch findet, aber der Schattenwurf der Solarpanels auf ihrer Lieblingsbank zerstöre die nationale Identität.

Energiewende? Ja! Aber ohne Veränderung, bitte.

Das politische Motto lautet: «Wir wollen die Energiewende – aber nur, solange sie uns nicht tangiert.» Ein Satz, der so schweizerisch ist, dass man ihn direkt in Schokolade giessen und an Touristinnen verkaufen könnte.

Der Bund rechnet vor, dass man langfristig unabhängiger, sicherer und nachhaltiger würde, wenn man jetzt etwas vom Volksvermögen in erneuerbare Energie steckt. Doch das Volk rechnet zurück:

Solaranlagen? «Zu glänzend.»

Windräder? «Zu verdrehend.»

Wasserkraft? «Zu nass.»

Geothermie? «Zu heiss.»

Energie sparen? «Zu mühsam, ich bin doch nicht im Militär.»

Bleibt nur noch die Lösung, die in der Schweizer Seele tief verankert ist: Wir müssen etwas bauen, das so gross, so teuer und so gefährlich wirkt, dass man sich wieder sicher fühlen kann. Voilà: der Ruf nach neuen Atomkraftwerken! Atomkraft – schön nostalgisch, schön gefährlich, schön weit weg von meinem eigenen Verantwortungsbereich.

Warum eine grüne Monarchie die Lösung wäre – zumindest satirisch

Eigentlich bräuchte die Schweiz jetzt jemanden mit absoluter Macht, aber aus biologisch-dynamischer Produktion. Eine Art Sonnenkönig 2.0, der mit eiserner Hand und weichem Bio-Kunstlederhandschuh regiert. Eine grüne Monarchie! Ein Öko-Zar! Ein klimaoptimierter Louis XIV., der eines Morgens verkündet:

«L'État, c’est moi – und ihr bestückt jetzt alle Dächer mit PV-Anlagen, bevor ich ungeduldig werde.»

Er würde das Volk retten – nicht vor Feinden, sondern vor sich selbst. Vor der eigenen Kurzsichtigkeit, diesem energiepolitischen Brett vor dem Kopf – was dazu führt, dass jede Geiss mehr Zukunftsvisionen hat als die Mehrheit des Stimmvolks.

Doch statt eines strahlenden Monarchen haben wir 5,6 Millionen stimmberechtigte Mitregierende, von denen ungefähr 5,5 Millionen aus Prinzip dagegen sind. Wogegen? Eigentlich egal.

Der Kampf um jedes Windrad – eine Shakespeare-Tragödie in drei Akten

Wenn irgendwo ein Windrad geplant wird, bricht sofort ein nationaler Drama-Wettbewerb aus:

  •  Akt I: Die Lokalbevölkerung entdeckt plötzlich, dass sie mehrheitlich aus passionierten Ornithologen besteht.
  •  Akt II: Der Gemeinderat identifiziert aus heiterem Himmel ein seltenes mediterranes Fledermausvorkommen, von dem noch nicht einmal die Fledermäuse gehört haben.
  •  Akt III: Die Energiekommission tritt zusammen, um zu erklären, dass man zwar grundsätzlich dafür wäre, aber leider sei der Entscheid in der falschen Mondphase gefällt worden.

Am Ende wird das Windrad nicht gebaut. Nicht, weil es sinnlos wäre, sondern weil in der Schweiz jedes Infrastrukturprojekt behandelt wird, als ginge es um das letzte unberührte Stück Paradies – selbst dann, wenn daneben ein Parkplatz und eine Abwasserreinigungsanlage liegen.

Wie führt man also eine grüne Diktatur ein, ohne eine Diktatur einzuführen?

Gar nicht – aber man kann sie imitieren. Die demokratisch korrekte Lösung ist, eine Institution zu schaffen, die so tut, als wäre sie die weise, ökologische Diktatorin, obwohl sie in Wahrheit nur ein sehr ernster Ausschuss ist. Ein Gremium mit Namen wie:

 «Bundesamt für Vorausdenken, Langfristigkeit und die Rettung vor uns selbst»

 oder «Hohe Kammer der erneuerbaren Vernunft»

 oder einfach «Rat der energetischen Entmündigung».

Diese Institution hätte dann die Macht, den Leuten zu erklären, dass erneuerbare Energien nicht optional sind wie eine Fonduegabel, sondern grundlegende Infrastruktur – wie AHV und SBB.

Energiepolitische Leitplanke

Die Schweiz braucht keine echte Monarchie. Sie braucht lediglich ein demokratisches GPS, das verhindert, dass wir energiepolitisch im Kreis fahren, während wir überzeugt sind, stramm voranzuschreiten. Eine energiepolitische Leitplanke, die uns daran erinnert, dass Zukunft nicht nur dort stattfindet, wo der Alpenblick nicht gestört wird.

Bis dahin bleibt nur die Hoffnung, dass die nächste Abstimmung über einen Solarpark nicht daran scheitert, dass jemand findet, die Panels würden zu sehr «glänzen». Und wenn sie doch scheitert – dann sollte wenigstens ein grüner König darüber lachen können. In seinem solarbeheizten Thronsaal.

 

Der Autor

Andreas Turner ist Kommunikationsspezialist und Inhaber der 2025 gegründeten Zero2050 GmbH. Unter der Marke ENERGY BY TURNER konzipiert, textet und produziert er Print- und Online-Formate, namentlich im Einsatz für die Energiewende sowie im Mobilitäts- und Cleantech-Bereich. Mit dieser Kolumne reitet er sein Steckenpferd, die diskrete Satire.

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